Digitalisierung im Raum gestalten
Dieser Beitrag stellt einen Auszug aus dem aktuellen Stand der Querschnittsstudie zu den räumlichen Wirkungen der Digitalisierung dar. Angesichts der enormen Dynamik der Digitalisierung, kann hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Der Beitrag versteht sich vielmehr als Anregung für weitergehende Diskurse, die im Rahmen einer Fachveranstaltung der ÖREK-Partnerschaft am 7. Mai 2021 geführt werden sollen.
Für eine systematische Auseinandersetzung mit den räumlichen Wirkungen von Digitalisierungsprozessen wurden im Rahmen der Querschnittstudie sieben Themenfelder festgelegt. Diese orientieren sich an den Daseinsgrundfunktionen und wurden auf Basis einer durchgeführten Umfrage mit Expert*innen (s. Beitrag auf Seite 14) zu jenen Handlungsfeldern verdichtet, in denen raumwirksame Veränderungen teils heute schon festzustellen sind und frühzeitig zu gestalten sein werden.
Arbeiten – Räumliche Dimensionen der Digitalisierung von Arbeit in Österreich
Die direkte räumliche Entsprechung des Strukturwandels auf dem Arbeitsmarkt sind geänderte Standortanforderungen der arbeitgebenden Betriebe. Vergleichsweise neu und beschleunigt durch die COVID-19 Pandemie ist, dass Teile der Bevölkerung berufliche Tätigkeiten ortsunabhängig ausüben können. Aktuell sind in Österreich 3,7 % der erwerbstätigen Männer und Frauen in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, 25,4 % im produzierenden Teil der Wirtschaft und 71 % im Dienstleistungs- oder tertiärem Sektor, der über die letzten Jahrzehnte stetig gewachsen ist. Dementsprechend sind aus der Perspektive des Arbeitsmarktes, in einer hochentwickelten Volkswirtschaft wie der österreichischen, die stärksten räumlichen Wirkungen der Digitalisierung im Bereich des Dienstleistungssektors und in Industrie und Gewerbe zu erwarten.
Bereits in den 1940er Jahren wurde vorgeschlagen, vom dritten Sektor einen vierten Sektor der Datengewinnung und -verarbeitung abzugrenzen. Die aktuelle Branchentaxonomie der OECD greift diesen Gedanken auf, trägt aber zusätzlich dem Umstand Rechnung, dass nicht alleine im Dienstleistungssektor hoch digitalisierte Unternehmen zu finden sind. Betriebe (und folglich Arbeitnehmer*innen) mit hochgradig digitalisierten Abläufen sind u. a. in den Bereichen Medien, IT, Finanz- und Bankenwesen, Recht, Wissenschaft, Marketing aber eben auch in der Pharma-, Automobil- oder Chemieindustrie und zunehmend auch im Handel zu finden. Laut der OECD-Taxonomie arbeiten in Österreich 20 % der unselbstständig Beschäftigten in jenen hoch digitalisierten Branchen. Deren räumliche Verteilung zeigt erhebliche Unterschiede.
In urbanen Regionen arbeiten mit 25 % deutlich mehr Personen in hoch digitalisierten Branchen, als in nicht-urbanen und ländlichen Regionen, wo es 15 % der Beschäftigten sind. Die Betrachtung auf kleinräumiger Ebene zeigt, dass der scheinbare Vorteil von Städten gegenüber Kommunen am Land nicht allein durch die Digitalisierung ausgelöst wird. Es sind vor allem bestehende strukturelle Unterschiede, die abgebildet werden: Wo erfolgreiche, international agierende Betriebe existieren, werden Digitalisierungsmaßnahmen forciert und umgesetzt.
Bemerkenswert ist, dass ein hoher Grad an Digitalisierung der regionalen Wirtschaft in nicht-urbanen Regionen besonders positive Effekte auf den Arbeitsmarkt insgesamt hat („Spill-Overs“). Am stärksten profitieren traditionell industriell geprägte Bundesländer (vor allem Oberösterreich und Steiermark), während in Bundesländern wie Tirol oder Burgenland keine nennenswert positiven oder negativen Effekte nachgewiesen wurden.
Zunehmend von der Digitalisierung betroffen sind Sparten wie Versicherungen und Banken. Je nachdem wie sich die Arbeitsverhältnisse in den einzelnen Sparten verändern, können räumliche Einsparungseffekte die Folge sein. So machen beispielsweise netzbasierte Plattformen und Angebote physische Beratungs- und Servicestellen zunehmend obsolet. Dadurch freiwerdende Flächenressourcen könnten künftig durch entsprechende Nachnutzungsmodelle für andere Zwecke verwendet werden. Unklar ist allerdings, wie sich räumliche Wirkungen aufgrund einer Konzentration bestimmter Sparten regional unterschiedlich ausprägen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass durch Einsparungseffekte räumliche Disparitäten verschärft werden. An dieser Stelle sei außerdem darauf hingewiesen, dass die digitale Spaltung der Gesellschaft in digital Affine und nicht-Affine bereits vorhandene Prozesse sozialer Ungleichheit weiter vorantreibt.
Der vierte Sektor im internationalen und regionalen Wettbewerb
Es wird allgemein erwartet, dass die historische Migration der Beschäftigten vom ersten, über den zweiten hin zum dritten Sektor, weiter in einen sich erst formierenden vierten Sektor führt. Diese Dynamik zeigt sich zum einen in ökonomischen Kennzahlen, zum anderen auch in einem Fachkräftemangel, der auch als „brain race“ bezeichnet wurde und nicht nur im hochqualifizierten Bereich zu einem „Offshoring“ von Funktionen und Prozessen innerhalb von Unternehmen führt. Auch dieser internationale Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte hat eine raumwirksame Komponente: Im „Wettbewerb der Städte und Regionen“ zählen nun verstärkt vormals „weiche“ Standortfaktoren, die als Asset für die Mitarbeiter*innen jener Technologie-affinen und mobilen Branchen gesehen werden. Um (internationale) Betriebe anzuwerben, geht es nicht allein um die (günstige) Zurverfügungstellung von Bauland, Flächen oder physischer Infrastruktur, sondern um den Begriff der „Lebensqualität“, der in einer globalisierten Welt in internationalen Rankings gemessen wird. Es wird angenommen, dass diese Dynamik sich durch die COVID-Pandemie weiter verstärkt.
Produktion an Ort und Stelle?
Mit einer Bruttowertschöpfung von 21,7 % spielen Industrie und Gewerbe in Österreich im europäischen Vergleich immer noch wesentliche Rollen. Digitalisierung in der Produktion bedeutet zuallererst die Abkehr von hochspezialisierten seriellen Fertigungen hin zur Industrie 4.0: hochflexible Großserien ganz unterschiedlicher Produkte, die angepasst produziert werden können („mass customization“). Zentrale Voraussetzung für die Industrie 4.0 ist die umfassende Vernetzung von Mensch, Maschine und Produkt, welche zu mehr Effizienz bei weniger (Personal-)Kosten führen soll. Diese Transformation von menschlichen Arbeitskräften hin zu Robotik hat weitreichende Folgen.
Der Umstieg auf diese neuen Produktionslogiken verursacht nicht nur hohe Investitionskosten und verlangt ganz neue Fähigkeiten von den Mitarbeiter*innen, sondern reduziert gleichzeitig auch die Flächen der Produktion: Unter dem Begriff der „distributed production“ werden neue flexible Produktionseinheiten diskutiert, die den Bedarf vor Ort abdecken und damit lange Transportwege obsolet machen könnten. Die Voraussetzung dafür sind umfassend vernetzte Systeme, die flexibel völlig unterschiedliche Produkte fertigen können. Unter den Begriffen „Stadtfabrik“ und „Urbane Produktion“ werden diese Konzepte auch in Raumplanungsdiskursen im Bezug auf Dichte, Nutzungsmischung und Konfliktvermeidung erörtert. Im Kern geht es dabei um neue Standortanforderungen im städtischen Kontext, beispielsweise bezogen auf kleinteilige Flächen in urbanen Lagen. In Deutschland wurde auf diese Entwicklungen anhand der neuen Baugebietskategorie „Urbanes Gebiet“ reagiert, über die das Neben- und Miteinander von Gewerbe, Wohnen und Freizeit im Quartierszusammenhang und damit die Mischung unterschiedlicher Nutzungen erleichtert und gefördert werden sollen.
Wohnen – Digitalisiert wohnen
Der (Wohn-)Immobilienmarkt ist schon auf Grund seiner Größe attraktiv für neue digitale Konzepte. Zahlreiche APPs, Plattformen und Netzwerke existieren auf unterschiedlichen Maßstäben. Sie sollen die Dinge des Haushalts vernetzen (IoT, Smart Living), Services für Mieter*innen oder Hausgemeinschaften vermitteln bzw. anbieten oder Quartiere und Nachbarschaften miteinander vernetzen.
Neue Nachbarschafts- und Wohnkonzepte stellen vielfach digitale Tools ins Zentrum – vor allem als Kommunikationsmedien. Die Kommunikation und Vernetzung findet vorwiegend online, mittels Apps und Social Media-Gruppen, statt. Leistbare und platzsparende gemeinschaftliche Angebote werden direkte Auswirkungen auf den Wohungsbau und die Architektur haben.
Neue Wohnformen („long-term flexibile stay“), die allgemein unter Co-Living diskutiert und ebenso über Plattformen organisiert werden, haben international für viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Hier werden Mieter*innen neben dem Wohnraum eine Vielzahl an Services (von Sport- und Freizeiträumen bis zum Wäscheservice) geboten. Auch AirBnB, deren Wirkungen auf den Wohnungsmarkt durch den hohen Anteil an Mieter*innen in Österreich eine besondere Relevanz hat, entwickelt sich
in diese Richtung. Verbunden damit sind massive Folgen für den Wohnungsmarkt und für die Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum.
Neue Lebenswelten
Seit den 1960er Jahren wird spekuliert, dass mit wachsenden Möglichkeiten der Telekommunikation, der Gegensatz zwischen Stadt und Land immer weiter an Bedeutung verliert, bis er schließlich gänzlich ausgelöscht werden würde. Die zeitgenössische empirische Literatur bestätigt tendenziell diese These, wenngleich nicht in der Radikalität, mit der sie einst formuliert wurde. Denn nicht allen Arbeitnehmer*innen wird das Privileg der Multilokalität zuteil, d.h. auch aus der Distanz zum eigentlichen Arbeitsort, an der arbeitsteiligen Gesellschaft teilhaben zu können.
Viele Unternehmen haben ihre Homeoffice-Regelungen den gewonnenen Erfahrungen angepasst, so dass davon auszugehen ist, dass auch künftig ein Teil der Arbeitsleistung von zu Hause aus erbracht werden wird. Eine kürzlich vorgenommene Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass ein Drittel der befragten Firmen plant, ihren Beschäftigten auch langfristig mehr Homeoffice zu ermöglichen. Zwar liegt die Annahme nahe, dass dies eine Reduktion der Büroflächen zur Folge haben könnte, doch gaben nur 6,4 % der Unternehmen an, Flächen im kommenden Jahr auch reduzieren zu wollen. Viel häufiger werden hingegen Anpassungen in der Flächennutzung genannt, die in Anbetracht mobiler Arbeitsformen an Relevanz gewinnen. Dazu zählt beispielsweise die Auflösung von Gruppenbüros, die Erweiterung von Kommunikationsflächen und die Errichtung flexibler Arbeitsplatzkonzepte.
Mit der Möglichkeit zum Homeoffice, gehen auch neue Formen der Lebensführung einher. Die räumliche Entkoppelung von Arbeit und Wohnen könnte diese Lebensstile auch abseits der urbanen Zentren etablieren. Ein wachsender Bedarf an Co-Working-Angeboten in der Wohnumgebung ist bereits jetzt zu verzeichnen - bietet die eigene Wohnung schließlich nicht zwangsläufig entsprechende Ausweichmöglichkeiten oder ausreichende Internetverbindung. In der Architektur und im Städtebau findet diese Entwicklung bereits ihren Ausdruck in hybriden Modellen und nutzungsoffenen Räumen. Hier zeigt sich die deutliche Korrelation zwischen den Prozessen der Digitalisierung und ihrer Entsprechung in der Baukultur.
Gleichzeitig aber hat die Pandemie gezeigt, wie ungleiche Wohnverhältnisse und unzureichende technische Ausstattungen (neben dem familiären Umfeld) zu einer verschärften Chancenungleichheit vor allem im Bildungsbereich geführt haben. Die Digitalisierung liefert eben keine abgeschlossenen Lösungsansätze. Problemlagen und Risiken im digitalen Raum können weiter (re)produziert und sozialräumliche Disparitäten verschärft werden. All dies verweist auf die Notwendigkeit eines verantwortungsbewussten und werteorientierten planerischen Handelns im Zuge der Digitalisierung.
Der Traum vom Wohnen und Arbeiten im Grünen
Vordergründig überraschend mag der Boom von Zweitwohnsitzen erscheinen, der von der Pandemie ausgelöst wurde. Die Gründe dafür sind vielfältig, unter anderem begründet sich dies in einem aus den Fugen geratenen Boden- und Immobilienmarkt in den Städten. Befördert aber wird der Trend von der Digitalisierung und von der Möglichkeit, die Arbeit im Büro auch vom Zweitwohnsitz aus leisten zu können. Deutlich spürbar ist mittlerweile, wie die Grundstücks- und Immobilienpreise auch im weiteren Umfeld der Städte wieder anziehen. Auch dies ein Ausdruck der sich verlagernden Nachfrage nach Wohnraum. Begriffe im Kontext der Multilokalität wie etwa „Zoom-Town“ oder die als „workation“ bekannt gewordene Vermischung von Arbeit und Freizeit weisen aber darauf hin, dass neben der Suche nach hoher Lebensqualität, die Qualität der Dateninfrastruktur und weiterhin die physische Erreichbarkeit eine Rolle spielen werden.
Versorgung und Handel – Die (K)einkaufstraße?
Der stationäre Einzelhandel ist in der Krise. Schon vor der Pandemie wuchs der Druck von allen Seiten. Seit den 1990er Jahren waren es die großen Handelsketten, die inhabergeführte Betriebe zurückgedrängt bzw. aus den Orts- und Stadtkernen verdrängt haben. Nun ist es der Onlinehandel, der auch die Fachmarkt- und Shoppingzentren an den Siedlungsrändern immer stärker unter Druck setzt.
Die COVID19-Pandemie hat im Handel als Brandbeschleuniger für bestehende strukturelle Schwächen gewirkt. Kaufentscheidungen werden zunehmend von der privaten Wohnzimmer-Couch aus getroffen – mit teils gravierenden Folgen für die tradierten Einzelhandelsstandorte in den Städten und Gemeinden. Ein großer Teil von dem Umsatz, der während des Lockdowns noch zusätzlich in den Onlinehandel abgewandert ist, wird voraussichtlich auch nicht wiederkommen. Viele Geschäfte werden dies nicht überstehen. Zunehmende Geschäftsaufgaben und Leerstände sind die Folgen einer bereits seit Jahren stattfindenden Veränderung im Einkaufsverhalten wie in tiefgreifenden Strukturveränderungen im Handel. Nach einer Prognose von KPMG und des Handelsforschungsinstituts EHI soll 2030 bereits die Hälfte der Mode in Deutschland online gekauft werden. In Österreich wird dies nicht wesentlich anders sein. Die Verlagerung der Umsätze wird einen starken Flächenabbau des Handels zur Folge haben, was für die Stadtentwicklung und für Stadt- und Ortszentren zur großen Herausforderung werden wird. Überlagert wird das von den Veränderungen in den Arbeitswelten, vor allem im Bürobereich. Vermehrt werden Menschen von zu Hause aus arbeiten, weshalb tägliche Kund*innen in den Innenstädten wegfallen und der Umgang mit untergenutzten Büroflächen zu einer zusätzlichen Herausforderung in den Innenstädten und Zentren werden dürfte.
Digital handeln
Für den unter Druck geratenen Einzelhandel, werden unterschiedliche Maßnahmen der Digitalisierung als Chance gesehen. Eine zentrale, von der Digitalisierung getriebene, Entwicklung stellen Multi- und Cross-Channel Ansätze dar, in denen die Ladenfläche einer von vielen Kund*innenkanälen ist. Um erfolgreich zu sein, werden immer wieder große Zusammenschlüsse und Plattformen für Betriebe betont. In Österreich setzen sich diese Maßnahmen schleppend durch. Insbesondere Klein- und mittlere Unternehmen (KMU) tun sich schwer dabei, digitale Technologien einzusetzen. Nur 16,5 % der Einzelhandel-KMU und 22 % im Einzelhandelsdurchschnitt haben 2017 ihre Waren auch online angeboten. Dem Gegenüber stehen 62 % der österreichischen Bevölkerung, die im Internet Einkäufe tätigt. Nicht umsonst liegt Österreich also auf Platz 3 bei Einkäufen ausländischer Internet-Anbieter*innen und nur 6,5 % des Umsatzes von KMU wurden in Österreich online erzielt – in nur 5 EU-Ländern war der Anteil 2017 geringer.
Um die Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern, wird mit einem seit 2017 laufenden Förderprogramm KMU.DIGITAL, einer Initiative des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), entgegengewirkt. Mittlerweile erhalten ca. 15.000 Unternehmen eine Förderung in Form von Digitalinitiativen.
Differenzierte Raumwirkungen
Die Zunahme des e-Commerce führt in größeren Maßstäben zu einer „Enträumlichung“ des Einkaufens. Unterschiede im Warenangebot und in den Zugriffsmöglichkeiten zwischen Stadt und Land werden nivelliert oder verschwinden gänzlich. Eine Studie der BBSR verweist auf differenzierte Raumwirkungen der Strukturveränderungen im Handel bezogen auf Innenstädte und Ortszentren. Aufgrund vielfältiger und differenzierter Handelsangebote werden demnach Großstädte und teilweise auch größere Mittelstädte weiterhin feste Bestandteile der Handelslandschaften sein. Sie weisen das vielfältigste und differenzierteste Handelsangebot auf und sind Impulsgeber und Katalysatoren neuer Handelsangebote. Generell verstärken wird sich dabei der Anpassungsdruck einer immer intensiveren Verzahnung von Online- und Offline-Aktivitäten. Der Druck auf die 1A-Lagen dürfte damit weiter steigen. Vor allem die Global Player drängen hinein und sorgen für weiterhin steigende Mieten und eine Verknappung der verfügbaren Flächen. Im Gegensatz dazu dürften vor allem B-Einkaufslagen und Nebenlagen von Schrumpfungsprozessen betroffen sein. Für Mittelstädte wird eine größere Gefährdung gesehen – vor allem wenn sie sich am Rand von Großstädten befinden. Die größten Probleme werden allerdings für Kleinstädte erwartet, für die die Auswirkungen des Online Handels zu weiteren Nachfrageverlusten und Leerständen führen können. Ganz besonders wird dies Städte in „Sandwich-Positionen“ betreffen, die vermutlich massiv unter Druck geraten werden. In ländlichen Räumen aber könnte der Online-Handel, so die Studie der BBSR, eine Gegenbewegung auslösen zu der schon seit langem zu beobachtenden Ausdünnung der Versorgungsangebote. Der Ausbau hybrider Nahversorgungslösungen (Verknüpfung von Arten sozialer Begegnung rund um Abholboxen und Paketstationen) wie auch die Verbindung mit Angeboten der Gesundheitsinfrastruktur oder das Angebot von CoWorking-Spaces oder anderen Formen gemeinschaftlicher Nutzungsangebote können hier neue Perspektiven für aktive Zentren eröffnen.
Innenstädte und Zentren neu denken
Angesichts der tiefgreifenden strukturellen Veränderungen im Handel und im Kaufverhalten werden wir nicht umhinkommen, die Innenstädte, Stadt- und Ortszentren aus den Möglichkeiten der Zukunft heraus neu denken zu müssen. Oder anders ausgedrückt, müssen wir der Monokultur in den Innenstädten und Zentren – die vielfach einseitig auf Handel und Dienstleitungen ausgerichtet sind – etwas entgegensetzen. In Verbindung mit Wohnen, Gastronomie, Tourismus sowie Angeboten der soziokulturellen Infrastruktur wird es darauf ankommen, die Zukunft der Zentren auf eine breite und damit auch krisenunabhängigere Basis zu stellen. Die Entwicklung polyzentraler Strukturen gewinnt dabei an Bedeutung. Zudem kommt vor allem den öffentlichen Räumen ein zentraler Stellenwert zuteil.
Sie sind es, die maßgeblichen Einfluss auf die Aufenthaltsqualität haben und die ein starkes Gegengewicht zur Couch-Bequemlichkeit des Online-Handels bieten müssen. Dies auch vor dem Hintergrund notwendiger Klimaanpassungsstrategien in den meist dicht bebauten Zentren. Konkret geht es dabei um den konsequenten Ausbau der grünen und der blauen Infrastruktur und um neue, zukunftsgerichtete Mobilitäts- und Logistikkonzepte in und für die Innenstädte und Zentren. All dies stellt besondere Anforderungen an die Entwicklung strategisch angelegter Zentrenkonzepte, die darauf ausgerichtet sind, Kultur, Dienstleistungen, Büros, Gastronomie und Handel in Beziehung zueinander und zur Entwicklung der öffentlichen Räume zu setzen.
Mobilität und Logistik – Nach immer und überall.
Wie wir mobil sind, hängt in hohem Maß damit zusammen, wo wir arbeiten, wohnen und unsere Freizeit verbringen. Welche Distanzen Menschen dabei zurücklegen, hängt von den zur Verfügung stehenden Technologien ab. Von Pferden, zur Bahn zum Auto – die tägliche Tageswegelänge hat mit immer neuen Transporttechnologien rasant zugenommen – von etwa 1 km / Tag und Person um 1990 zu etwa 43 km / Tag und Person 2013/2014 in Österreich., Die damit einhergehenden Umweltfolgen sind enorm.
Heute ist die verkehrspolitische Zielsetzung klar formuliert: Angesichts der globalen Klimakrise muss sich die Mobilität grundlegend wandeln – und dass aufgrund der Versäumnisse der Vergangenheit innerhalb kurzer Zeit. Der Verkehrssektor hat bislang in der EU keinen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen geleistet. Im Gegenteil: Die Emissionen stiegen seit 1990 extrem (mit einem „Kick“ zwischen 2005 und 2015) und die Prognosen bleiben düster.
Die Digitalisierung wird zum Hoffnungsträger einer neuen Mobilität. Das Leitmotiv des angestrebten Wandels ist die Abkehr von „Mobilität im Besitz“ zur „Mobilität als Service“. Schließlich entstehen im Kontext der „Antriebswende“ auf Emissions-freie Kraftstoffe neue infrastrukturelle Ansprüche. Ein flächendeckendes Netz an e-Tankstellen (und deren Integration in das Energienetz) sowie Wasserstofftankstellen, gilt es erst zu entwickeln.
Hände weg vom Steuer! Automatisierung
Die beiden Komponenten, die auf technologischer Seite diesen Wandel ermöglichen sollen, sind zunehmende Automatisierung und Vernetzung des Verkehrs. Das „selbstfahrende Fahrzeug“ wurde zur Ikone dieses Wandels. Es wurde zum Hoffnungsträger so gut wie aller aktuellen Probleme im Straßenverkehr. Es wurde erwartet, dass diese Technologie den Verkehr sicherer, effizienter und ökologischer macht, während gleichzeitig Flächen vor allem in den Straßenzügen urbaner Räume frei würden und die neugewonnene „Freizeit“, die nicht mit dem Lenken des Fahrzeugs zugebracht werden muss, anderwärtig genutzt werden kann. Allein: die kritische Betrachtung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass zum einen die technologischen Erwartungen überzogen waren und zum anderen auch negative Effekte zu erwarten sind, die von zunehmender Zersiedelung bis zu einer Reihe von negativen Effekten im Straßenraum reichen. Im aktuellen Stand der Entwicklung sind automatisierte Fahrsysteme vor allem Assistenzsysteme, die auf der Autobahn die lenkende Person bei der Fahraufgabe unterstützen. Zahlreiche Tests mit automatisierten Shuttlebussen werden in Europa durchgeführt, aber deren Regelbetrieb in größerem Ausmaß zeichnet sich nicht ab.
Ein zentraler Punkt ist die hohe Heterogenität des Straßennetzes – vor allem in europäischen Siedlungsgebieten. Während der kontrollierte Verkehrsraum der Autobahn weitere automatisierte Anwendungen in naher Zukunft wahrscheinlich macht, dürfte das Gewimmel lebendiger Straßenräume heute verfügbare Technologien langfristig überfordern. Infolgedessen ist für Österreich eine räumlich differenzierte Durchsetzung dieser Technologie zu erwarten. Dies zu gestalten ist eine der zentralen verkehrs- und siedlungspolitischen Aufgaben der Zukunft, da es durch unterschiedliche Planungsansätze negative Effekte zu vermeiden gilt.
Vernetzt unterwegs
Im Gegensatz zur Automatisierung des Verkehrs, ist die Vernetzung bereits im mobilen Alltag integriert und zeigt weitreichende raumrelevante Folgen und konkrete Ansätze für eine nachhaltige Verkehrswende. Von der Routenplanung bis zum Kauf des
Tickets, verläuft vieles im öffentlichen Verkehr heute digital und vor allem über mobile Endgeräte. Folglich ist der Ansatz naheliegend, den Flächenverbrauch (sowohl im Straßenraum, als auch von Verkehrsinfrastrukturen insgesamt) zu reduzieren, indem die Anzahl der Fahrzeuge effektiv reduziert wird (durch stärkere Nutzung des öffentlichen Verkehrs und des Carsharing) und indem höhere Besetzungsgrade von Fahrzeugen gefördert werden (im öffentlichen Verkehr ebenso wie im Ridesharing). Sowohl Car- als auch Ridesharing werden heute ausschließlich über digitale Plattformen genutzt.
Weitere Services sind in jüngerer Zeit entstanden, die bereits den Straßenraum vor allem in urbanen Räumen verändert haben. E-Scooter, Bikesharing und internationale Fahrdienstleister wie Uber oder Bolt werden ebenfalls über digitale Plattformen genutzt. Diese Entwicklungen nagen zum einen bereits spürbar an den Monopolen lokaler Verkehrsbetriebe, erzeugen zum anderen aber neue Platzbedarfe, die zu „Stress“ im begrenzten Raum der Straße führen.
Auch was neue Mobilitätsdienstleistungen (MaaS, „Mobility as a Service“) angeht, zeigt sich dieser Unterschied: Fahrdienstleister (wie etwa Uber, Bolt, Free Now) sind bislang vorwiegend urbane Phänomene. In ländlichen Räumen bedarf es engagierter zivilgesellschaftlicher Initiativen, damit derartige Services entstehen und betrieben werden können. Erwartbar sind neue hybride Angebote, bei denen die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Anbietern fließend werden.
Ich lass die Dinge jetzt einfach mal auf mich zukommen: Logistik
Aber nicht nur die Personenmobilität wandelt sich, sondern auch die Mobilität der Güter: Lieferdienste und e-Commerce erzeugen erhebliche Verkehrsmengen. In beiden Fällen bewegen sich die Waren zu den Kund*innen und nicht umgekehrt. Auch hier ist die Bewegung hin zu Services erkennbar: Diese umfassen nicht allein die Produkte (oder Dienstleistungen) an sich, sondern die gesamte Abwicklung – vom online Bestellvorgang bis zur Lieferung an die Tür.
Die COVID19-Pandemie hat diesen Services einen deutlichen Boost gegeben, der auf Kosten des geschlossenen stationären Einzelhandels ging. Lieferservices wie etwa Mjam, aber auch informelle Arrangements und To-Go-Angebote. Sie alle wurden während der Pandemie digital genutzt und nahmen insgesamt stark zu. Während die Zahl der gesendeten Pakete beispielsweise in Wien an und von Geschäftskund*innen um 4,2 % abnahm, stiegen die Sendungen an Konsument*innen um 16 %. Es wird erwartet, dass dies kein kurzfristiges Ausweichen auf andere Kanäle darstellt, sondern eine langfristige Trendwende eingeläutet bzw. beschleunigt hat.
Neben den steigenden Verkehrsmengen entstehen so auch neue Raumbedarfe und Logistikkonzepte: Warenlager und Logistikzentren erreichen nun die Größe und überregionale Bedeutung von Häfen. Im städtischen Raum entstehen neue Bedarfe nach einem räumlich ausdifferenzierten und lizensierten Netz von Logistikhubs und quartiers- bzw. auch gebäudebezogenen Paketstationen. Auch in der Automatisierung, die heute immer noch am Anfang steht, sind die Logistiker*innen die Vorreiter: vor allem der Umschlag auf globalen Wegeketten wird heute vielfach automatisiert bewältigt. Aktiv getestet werden bereits Platooning-Lösungen, bei denen LKW´s auf den Autobahnen in geringem Abstand und aufgefädelt wie an einer Perlenkette hintereinander fahren. Einhergehend mit dieser Effizienzsteigerung verschärft sich aber auch die Konkurrenz zu schienengebundenen Verkehrssystemen, was wiederum eine höhere Umweltbelastung nach sich ziehen dürfte. Intensiv diskutiert werden zudem die Einsatzmöglichkeiten von Drohnen und Robotern in der Endkundenbelieferung, die zu einer neuen Belastung öffentlicher Räume und, was die Auslieferroboter betrifft, zu Konkurrenzen in Benutzung der Gehwege führen werden.
Wie Algorithmen steuernd eingreifen
Besonders wegweisend erscheinen datengestützte Messsysteme und eine ausgefeilte Sensorik, die darauf ausgerichtet sind, den Verkehr über Ampelschaltungen und Leitsysteme zunehmend interaktiv zu steuern und zu lenken. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz soll die Simulation von Verkehrsflüssen in Echtzeit verbessert und die Kosten und die Umweltbelastungen von Mobilität reduziert werden. Aktuell steht aber eine Vielzahl an Fragen im Raum, auf die Antworten gefunden werden müssen. Unter anderem jene nach der Sicherheit solcher Systeme gegenüber Hackerangriffen, bezogen auf ethische Aspekte in der Überwachung des öffentlichen Raumes und nach der Relation zwischen öffentlichen und privaten Instrumenten und einer entsprechend notwendigen Regulation.
Soziale Infrastruktur – Sinnstiftende Kooperationen.
In ihrer heutigen Form sind die Funktionen der sozialen Infrastruktur ein Produkt des Wohlfahrtsstaates, der wiederum selbst als eine (vorrangig europäische) Folge der industriellen Revolution gesehen werden kann. Der Begriff ist eng mit grundlegenden Konzepten der Raumplanung wie dem Gemeinwohl bzw. der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse verbunden und beschreibt die Gesamtheit der Einrichtungen, die der sozialen Versorgung der Bevölkerung dienen. Darüber hinaus besteht kein vollständiger Konsens darüber, welche konkreten Einrichtungen damit erfasst sind. Je nach Definition umfasst der Begriff der sozialen Infrastruktur Einrichtungen der Nahversorgung (Einzelhandel), der Bildung, das Pflege- und Gesundheitswesen, Rettungsdienste, Feuerwehr, Polizei, Freizeiteinrichtungen und den öffentlichen und privaten Nah- und Fernverkehr. Für die hier angestellten Betrachtungen wird der Begriff in einem engeren Sinne verwendet und fokussiert auf die Bereiche Gesundheit, Pflege und Bildung.
Die Informationsgesellschaft im Wandel wohlfahrtsstaatlicher Verantwortung
Wie im Laufe der industriellen Revolution, löst auch die Digitalisierung eine Debatte über die Rolle des Staates und über dessen wohlfahrtsstaatliche Verantwortung aus. In europäischen Ländern wie den Niederlanden und in England wurde bereits das Ende des Wohlfahrtsstaates ausgerufen. Mit dem Konzept der Partizipationsgesellschaft („participation society“ (NL) und „big society“ (UK)), welches die Lücke des Wohlfahrtsstaates schließen soll, ist die Aufforderung verbunden, dass jede Person, die dazu in der Lage ist, selbst umfassend Verantwortung für sein/ihr Leben und seine/ihre Umwelt übernimmt.
Während England und die Niederlande extreme Fälle darstellen, sind die beiden zu Grunde liegenden Trends schon heute ein wichtiger Teil in der sozialen Versorgung Österreichs. Zum einen übernehmen neue Akteur*innen Verantwortung im Bereich der sozialen Infrastrukturen. Es sind dies privatwirtschaftliche Akteur*innen und auch das Ehrenamt (formales Freiwilligenengagement), das in Österreich traditionell eine wesentliche Rolle spielt. Zum anderen bieten digitale Plattformen neue Möglichkeiten der Vernetzung und der Kooperation, die Bürger*innen zu eigenverantwortlichem Handeln befähigen sollen. Beide Trends geben eine Perspektive in Richtung raumwirksamer Effekte der Digitalisierung.
(Digitales) Ehrenamt
Im Jahr 2012 haben sich 46 % der Österreicher*innen freiwillig engagiert. In einer Studie für Wien wurde gezeigt, dass sich mehr Frauen als Männer engagieren und hier vor allem die jüngeren und älteren Altersgruppen, deren Freiwilligenarbeit einen Wert von 680 Mio. Euro ausmacht. Entscheidend hierbei ist nicht alleine der ökonomische, sondern politische, soziale und psychologische Wert dieser Tätigkeiten. Die Freiwilligenarbeit wirkt sich auf der individuellen Ebene positiv auf die psychische und physische Gesundheit aus und fördert zudem die soziale Integration, Solidarität und stärkt demokratische Prozesse.
Es ist die zentrale Idee des Web 2.0 oder auch der sozialen Medien, Plattformen durch freiwillig erbrachte Leistungen mit Inhalten zu füllen (und diese zu kommerzialisieren). Wikipedia oder OpenStreetMap und zahlreiche Projekte im Bereich des e-Learning sind Beispiele für Plattformen, wo die erbrachten Leistungen als digitale Gemeingüter zur Verfügung gestellt werden. Ähnliche Ansätze werden in der Raumplanung in den Bereich der e-Partizipation oder von OpenData bzw. OpenGovernment Initiativen bereits erfolgreich umgesetzt. Auch hierfür ist anzunehmen, dass sich die COVID-Pandemie beschleunigend auswirkt.
Soziale Infrastrukturen als Services
In allen Bereichen der sozialen Infrastruktur zeigt sich ein Trend, Angebote flexibler, situationsabhängig und mobil zu gestalten. Ein konzeptueller Wandel, der wesentlich durch digitale Technologien ermöglicht wird, ist bereits nachzuweisen: Infrastruktur ist nicht länger nur eine physische Einrichtung vor Ort, sondern die prinzipielle Möglichkeit ein Service zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort abrufen zu können. Aktuell wird dafür der Begriff „City as a Service“ oder allgemeiner der „Smart City“ verwendet. Dieser Service-Shift erzeugt einerseits einen Bedarf nach neuen Kompetenzen in der Verwaltung und Planung und andererseits neue Bedarfe digitaler Infrastruktur bzw. neue Wege, um bestehende Infrastrukturen zu optimieren.
Diese neuen Anforderungen sind allgemein auf den Arbeitsmärkten einer „Informationsökonomie“ deutlich spürbar und stellen Bildungseinrichtungen vor die Herausforderung den „klassischen Kanon“ mit marktkonformen Angeboten zu versöhnen. Während der COVID-Pandemie wurden Versäumnisse der Vergangenheit deutlich: Vernetzte Angebote stehen lange nicht im erhofften Maße zur Verfügung – ebenso wie die notwendigen Nutzungskompetenzen.
Das Risiko einer digitalen Spaltung der Gesellschaft ist groß. Aspekte wie Alter, Einkommen, Bildungsstand, soziales Milieu, Sprach- und Technikkompetenz spielen dabei eine zentrale Rolle. Schließlich wurde während dieser Ausnahmesituation auch deutlich, wie schnell Gräben eines „digital divide“ zu Zeiten des „Home Schooling“ und während der momentan notwendigen e-Government Leistungen entstehen können. Besonders in benachteiligten Quartieren verschärfen sich Problemlagen, deren langfristige Folgen noch nicht abzusehen sind.
Die Herausforderungen sind groß. Die Bereitstellung und Absicherung des Zugangs zu einer physischen Dateninfrastruktur ist notwendig, aber wird nicht ausreichen, um einer Polarisierung der Gesellschaft durch die Digitalisierung entgegenzuwirken. Es bedarf der Vermittlung digitaler Kompetenzen und einer Verbesserung der Chancengleichheit im sozialräumlichen Kontext. Dies inkludiert den Ausbau von Angeboten einer sozialen und gemeinwohlorientierten Infrastruktur ebenso wie die Entwicklung neuer Governance-Modelle unter Einbeziehung digitaler Netze der Nachbarschaftshilfe und Quartiersentwicklung.
Roboter in der Pflege
Schließlich betrifft die Digitalisierung die Automatisierung von Arbeitsabläufen. Der existierende Fachkräftemängel, etwa in Pflege- und Gesundheitsberufen, soll durch Robotik und Kommunikation abgefedert werden. In erster Linie geht es nicht um die Substituierung von Arbeitsplätzen, sondern um die Substituierung einzelner Arbeitsschritte. Dies sorgt auch für Veränderungen in der Arbeitswelt, von denen man heute annimmt, dass stärker Frauen betroffen sein dürften. In Summe wirkt dies auf den Arbeitsmarkt, indem der Personalbedarf ab und die Mobilität zunimmt bzw. auf neue Berufsgruppen ausgeweitet wird.
Energie- und Dateninfrastruktur – Welt am Draht
Im Zuge eines so grundlegenden Wandels wie jener der Digitalisierung stellt sich die Frage nach der infrastrukturellen Verantwortung für Kommunen, Städte, Länder und des Staats. Im Kontext der Digitalisierung braucht es neue Systeme: Kommunikationsnetzwerke auf Basis des 5G Mobilfunks oder Glasfaseranschlüssen, digitale Infrastruktur im Verkehrswesen (Straßen- und Schienenverkehr, G5 und 5G), Server- und Rechenzentren und als Rückgrat und Nadelöhr leistungsfähige und flexible Stromnetze.
Auch im österreichischen Regierungsprogramm gibt es das Ziel, Österreich zu einer führenden Digitalnation innerhalb der Europäischen Union zu entwickeln. Maßnahmen dazu betreffen den Ausbau der Infrastruktur, digitale Verwaltung, Open Data, Netz- und Datenpolitik, KI und Cybersicherheit. Zahlreiche Initiativen wurden hierzu in Österreich bereits entworfen und gestartet (u.a. „Breitband-Milliarde“, „Digital Road Map“, Digitaler Aktionsplan“). Neben der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Regionen und der Versorgung der Bevölkerung, werden auch im hochkritischen Bereich der Klimakrise (Reduktion der Treibhausgasemissionen und Anpassung an die lokalen Folgen globaler Erwärmung) große Hoffnungen in Technologien der Automatisierung und Vernetzung gesetzt.
Räumliche Differenzierung
Im europäischen Vergleich liegt Österreich im Bereich der digitalen Infrastruktur im Mittelfeld. 89,3 % der österreichischen Haushalte verfügen über einen Breitbandanschluss. In den Niederlanden sind es 97 %, der EU-27-Durchschnitt liegt bei 86 %. Der Ausbau des Glasfasernetzes ist in Österreich allerdings noch wenig fortgeschritten. Nur 13 % aller Haushalte (Stand 2018) sind an das Glasfasernetz angebunden. Vor allem an ländlichen und peripheren Standorten ist die Versorgung noch rudimentär.
Die regional differenzierte Digitalisierung ist derweil keine Ausnahme, sondern der Regelfall: Politische Dokumente und wissenschaftliche Studien aus anderen europäischen Ländern dokumentieren einen wachsenden „digital spatial divide“, der sich zwischen Stadt und Land zu festigen droht. Dieses neue Stadt-Land-Gefälle kann dazu führen, dass bestehende Disparitäten weiter verstärkt werden: Wo Konnektivität und technische Fähigkeiten zu einer Voraussetzung werden um Angebote abzufragen, wird ein Wandel vollzogen, der weder räumlich noch gesellschaftlich ebenmäßig verläuft. Das Stadt-Land-Gefälle, das im Kontext der Digitalisierung sichtbar wird, ist nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch eine Frage der Nutzungskompetenz und damit eine bildungspolitische und institutionelle Herausforderung.
Nicht nur räumlich, sondern auch innerhalb der Bevölkerung zeigen sich Differenzierungen und Bruchlinien, bekannt als „digital divide“. Dies betrifft sowohl den Zugang (first-level divide) als auch die Nutzung von IKT (second-level divide). Vor allem der sozioökonomische Status beeinflusst die digitale Problemlösungskompetenz und be- bzw. verstärkt damit die regionalen Unterschiede. Besonders gravierend sind die Unterschiede im Bildungsbereich, wo sich während der durch den Corona-Lockdown „erzwungenen Digitalisierung“ die Lehr- und Betreuungsformen nicht zuletzt im Zusammenhang mit entsprechenden Vorkenntnissen des Lehrpersonals (und der Eltern) stark unterschieden.
Überall, immer.
Der umfassende Einsatz von digitalen Systemen in allen Bereichen (ubiquitous computing) führt zu ständig steigenden Ansprüchen an die Infrastruktur. Smart Phones, Laptops, Streaming-Dienste (Netflix, Amazon Prime) verlangen Energie- und Datenübertragung. Damit verbunden ist eine Externalisierung von Infrastrukturkosten und – meist vergessen – erhebliche Treibhausgasemissionen die im „vierten Sektor“ entstehen. Immer neue Infrastrukturen führen dazu, dass laxe Bodenpolitik immer höhere Infrastrukturfolgekosten verursacht. Diesem Trend soll die „smarte“ Entwicklung von Netzen entgegenwirken.
Die Digitalisierung könnte auch zu einem grundlegend neuen Verständnis des Begriffes der Infrastruktur beitragen. Nicht länger stehen (nur) die Netze im Fokus, sondern auch gewisse Leistungen, die in die staatliche (oder kommunale) Verantwortung übergehen. Ein Beispiel hierfür wäre die Initiative der Europäischen Union, eine europäische Cloud („Gaia-X“) einzurichten oder auch Überlegungen, künstliche Intelligenz von Staaten oder in zivilgesellschaftlichen Initiativen einzurichten.
Tourismus und Kulturlandschaften – Digitalisierung im Tourismus
Kein Land der OECD-Mitgliedstaaten verzeichnet mehr internationale Ankünfte pro 1.000 Einwohner*innen als Österreich. Im Jahr 2019 waren es 152,7 Mio. Nächtigungen, bis die Zahl während der COVID19-Pandemie auf 35,9 % auf 97,88 Mio. zurückging. Die Wertschöpfung aus dem Tourismus (bis 2019 noch 16 % des BIP) und folglich deren Wegfall variieren stark nach Bundesländern.
Es gibt keine verlässlichen Daten zu den Umweltwirkungen des Tourismus in Österreich. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 5 % - 6 % der jährlichen Treibhausgasemissionen Österreichs allein eine Folge des Wintertourismus sind. Da sich der Tourismus zusehends lokal konzentriert, gilt dies auch für die lokalen Umweltbelastungen.
Im Jahr 2019 wurde in Österreich der „Plan T - Masterplan für Tourismus“ vorgestellt. Digitalisierung soll drei zentrale Zielstellungen unterstützen: (1) ein attraktives Umfeld für Betriebe in diesem Sektor zu ermöglichen (z.B. Erleichterung von Behördenwegen durch e-Gouvernement, gemeinsame digitale Plattformen), (2) die Relevanz der Branche einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln (um Akzeptanz zu erzeugen) und (3) soll Digitalisierung einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus ermöglichen.
Überall vernetzt
Die touristische Erfahrung und ebenso die Gestaltung der Freizeit hat sich durch mobile Endgeräte grundlegend gewandelt. Der Einstieg in die Zeit abseits des (Arbeits-) Alltags wird am Display geplant und die touristische Erfahrung ist eine Collage aus Online-Informationen und den Sinneseindrücken vor Ort. Die räumliche Distanz zu Freund*innen oder Bekannten bedeutet nicht länger, dass die Kommunikation abreißt oder zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufgenommen wird: ein steter Bild- und Nachrichtenfluss verbindet die Reisenden und jene, die zurückgeblieben sind. Die Omnipräsenz digitaler mobiler Devices beeinflusst, wie der Raum wahrgenommen und genutzt wird. Der Tourismus und die Gestaltung der Freizeit sind diesbezüglich absolute Vorreiter, da digitale Praktiken hier bereits als umfassend etabliert gelten können.
Während der COVID-Pandemie hat sich ein bestehender Trend zu einem breiteren gesellschaftlichen Phänomen entwickelt. Aus dem Wellness-Tourismus kommend, hat sich der geplante Rückzug bzw. Wechsel des Arbeitsumfelds etabliert. In der Erwartung von Inspiration und Ruhe bei gleichzeitig gesteigerter Produktivität (Writing-, Coworking-, Business., Yoga-Retreats) werden längere Ortswechsel gleichzeitig als Vorstufe und Extremform der Mulitlokalität gelebt. Plattformen wie AirBnB haben diesen Wechsel binnen weniger Wochen vollzogen und ein Geschäftsfeld erschlossen, das klassischen Hotels und Pensionen nicht offensteht. Mit dem Begriff der „digitalen Nomaden“ ist ein in der Architektur und Stadtplanung bekanntes Konzept vor allem der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wiederaufgetaucht, das schon damals von neuen Möglichkeiten der Telekommunikation abgeleitet wurde.
Im Fokus: die digitale Pittoreske
Die Möglichkeit immer und überall zu fotografieren und die geschossenen Bilder umgehend versenden oder posten zu können, erzeugt nicht nur erhebliches Datenvolumen, sondern auch einen neuen Blick in der freien Zeit. Die Folge sind Feedbackeffekte, die eine zunehmende räumliche Konzentration touristischer Ströme auf „fotogene Orte“ verursachen. Reise- oder Ausflugsziele werden zum einen auf einige wenige Punkte bzw. bestimmte Perspektiven reduziert und nun, in einer finalen postmodernen Bewegung, völlig von ihrem unmittelbaren Kontext losgelöst.
Diese räumliche Konzentration hat, bis zur COVID19-Pandemie, mehrere raumwirksame Konfliktsituationen entstehen lassen: Erstens wurde zunehmend von Nutzungskonflikten zwischen Tourist*innen und der lokalen Bevölkerung berichtet. Zweitens konzentrieren sich Umweltbelastungen, ebenso wie die Ansprüche an die lokale bzw. regionale Infrastruktur.
Freizeit: digital, verträglich
Der Tourismusbereich kann als Vorreiter digitaler Praktiken gelten und wird auch in der Transformationsforschung als wichtiger Ansatzpunkt zum Erlernen neuer, nachhaltiger Lebensweisen gesehen. Mit den langen Distanzen und der hohen Pkw-Nutzung, gerät vor allem die Mobilität in den Fokus, wenn es um nachhaltige Formen der Freizeitgestaltung geht. Plattformen sollen hier Ansätze bieten. In Österreich existieren Start-Ups und Initiativen, die sich genau diesen Umstand zunutze machen wollen. „Ummadum“ ist ein Mobilitätsdienstleister, der vor allem in Westösterreich aktiv ist. Nachhaltige Mobilität soll ermöglicht werden, da touristische Nutzungen und Alltagswege gemeinsam die Auslastung sicherstellen. Zudem existiert ein Token-System, das bei lokalen Betrieben eingesetzt werden kann. Außerdem haben einige Gemeinden das touristische Potential attraktiver Ortszentren erkannt und setzen verstärkt auf sanfte Mobilität, wodurch gleichzeitig auch die Lebens- und Aufenthaltsqualität für die Bewohner*innen gehoben wird.
Weiter gehen neue Konzepte der Transformationsforschung, die eine systematische Perspektive (in den Dimensionen: technologisch, ökologisch, ökonomisch, sozial und kulturell) einfordern und damit auch zu einer ökonomischen Neubewertung führten. In Folge rückt die Quantität (der erbrachten Wertschöpfung vor Ort) in den Hintergrund und die Qualität wird zum Thema: Wertschöpfung auf Kosten bestehender lokaler Qualitäten (z. B. Verbrauch von Rohstoffen oder Boden) kann nicht länger als Erfolg gemessen werden, im Gegensatz zu Sanierung bzw. Rückgewinnungen oder gezielter Akzentuierung bestimmter Charakteristika. Digitalisierung wird vielfach als Chance in diesem Kontext gesehen, da sie in einem erweiterten systematischen Verständnis des Flächenmanagements, sowohl die Evidenz für Planung als auch die Tools (Big Data ) für die Umsetzung liefern kann. Durch seine besondere Abhängigkeit des Ortes, könnte der Tourismus auch hier zum digitalen Vorreiter werden.
Aus der Ausgabe
Aus der future.lab-Magazin-Augabe #15 Raum und Digitalisierung, 2021
Ein Beitrag von Mathias Mitteregger, Emilia M. Bruck, Fidelia Gartner, Madlyn Miessgang und Rudolf Scheuvens
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Soike, R., Libbe, J., Konieczek-Woger, M., & Plate, E. 2019: Räumliche Dimensionen der Digitalisierung. Handlungsbedarfe für die Stadtentwicklungsplanung. Ein Thesenpapier. Berlin: DIFU-Sonderveröffentlichung.
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