Was ist der Ländliche Raum?
Der ländliche Raum ist in aller Munde. Das ist kein neuer Trend, aber der Inhalt hat sich verändert oder die Worte und Bilder, die wir verwenden. Der ländliche Raum ist geprägt von Narrativen. Von Romantisierung bis Schwarzmalerei ist alles dabei. Unterschiedliche Akteur:innengruppen verfolgen unterschiedliche Ziele mit „dem“ ländlichen Raum. Doch was bedeutet dies für die Planung, für die Architektur, für die Forschung, für die Lehre, für die Praxis? Was und wo ist überhaupt dieses Subjekt unserer Planungen? Im Folgenden wird versucht, sich dem ländlichen Raum anzunähern. Aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Frage bleibt, wie planen und handeln wir für einen Raum, der so schwer zu fassen und dessen Entwicklung in die Zukunft schwer vorhersagbar ist?
Eines der liebsten Bilder war wahrscheinlich das Gegensatzpaar Stadt und Land. In extremen Fällen Stadt vs. Land und umgekehrt. Bereits in der Schule wird diese Dichotomie als Lehrgrundlage für beispielsweise den Sprachunterricht verwendet. Es scheint, dass die Argumente klar zuordenbar sind. Die Stadt ist laut, es gibt Kinos, Bars und Anonymität. Am Land ist es ruhig, es gibt viel Natur, keinen Stau und man kennt die Nachbar:innen. Daraus würden sich dann auch Stadt- und LandMenschen ableiten lassen.
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Diese Einteilungen, diese Zuordnungen in Tabellen und das Gegenüberstellen von verallgemeinerten Argumenten ist einfach. Es ist praktisch, spart Zeit und eignet sich ebenso als Smalltalk-Thema. Die Realität sieht aber anders aus. Das Vergleichen von Verschiedenem ist nicht gerecht. Die „Frontenstellungen“ wirken 2022 immer konstruierter und die Vereinfachungen veraltet. Es scheint, als würden selbst unsere Klischees und Stereotypen über Land und Stadt ein Update brauchen.
„Es muss eine Entscheidung getroffen werden, die jedenfalls Konsequenzen hat. Es lebt sich weder hier noch dort besser, es lebt sich anders. Die Vorteile der Stadt sind nicht die Nachteile des Landes.“ zit. Ruth Aspöck, 2021 (Morgen Magazin, S. 7)
Ein wissenschaftlicher Zugang ist das nicht. Dieses Phänomen weckt aber das Forschungsinteresse. Was ist Land? Was ist Stadt? In welcher Beziehung stehen „sie“ zueinander? Wer lebt wo? Was sind die Bedürfnisse der Menschen in diesen Regionen? Wie können diese Regionen in Zeiten einer Klimakrise und Pandemie gestaltet werden? Wo bauen wir, wie bauen wir oder sollten wir überhaupt noch bauen?
Blickt man in die ausformulierten Statistiken zum ländlichen Raum waren die dominierenden Interpretationen geprägt von den Begriffen: Abwanderung, Schrumpfung, Demographischer Wandel, und Überalterung. Vielen Gemeinden und Regionen wurde prognostiziert, dass sie weiter und weiter Bevölkerung verlieren würden. Zurückzuführen ist das auf die niedrige Fertilitätsrate (weil immer weniger Frauen im gebärfähigen Alter) – also mehr Todesfälle als Geburten und kaum Zuwanderung.
Währenddessen nahm die Bevölkerung in ganz Österreich stetig zu. Im Jahr 2020 waren es rund 8,9 Mio. und die Statistik Austria prognostiziert für das Jahr 2030 eine Bevölkerung von rund 9,2 Mio. Ein Fünftel der Bevölkerung lebte 2020 in Wien. Die kleinste Gemeinde zählte 41 Einwohner:innen (Gramais in Tirol). Zu erwarten ist, laut Statistik Austria, dass der Bevölkerungsanstieg vor allem in städtischen Regionen stattfinden wird (vgl. BMLRT, 2021 und ÖROK Atlas, 2021).
Das würde heißen, dass der ländliche Raum „leer“ ausgeht. Zu den Immobilien-Leerständen würden die für den Gemeindehaushalt so wichtigen Hauptwohnsitze woanders gemeldet werden. Das war lange das Narrativ des ländlichen Raumes. Ohne Kritik an Statistiken generell und im Speziellen zu üben, stellt sich die Frage, wie sich diese auf die Menschen auswirken, die in diesen Gebieten wohnen, arbeiten, sich engagieren? Beispiele dafür sind sicherlich Eisenerz in der Steiermark und das Südburgenland. Es stellt sich die Frage, was die planerischen Konsequenzen aus Bevölkerungsprognosen sind? Rückbau? Zusammenlegen von Infrastruktur? Verstärkte regionale Zusammenarbeit? Ausheimischen-Management? Leerstands-Management? Oder gibt es keine Zukunft? Dreht sich die Spirale bis ins Unendliche ins Negative? Und wenn es keine Zukunft gibt, warum planen wir dann überhaupt am Land?
Oftmals ist die Bevölkerungsanzahl in Gemeinden, Bezirken und Regionen so gering, dass sich durch den Zuzug weniger Menschen die Bevölkerungsprognose ändert. Ebenso gilt es, genau zu unterscheiden zwischen Regionen. Wie hoch ist die Zahl der Ein-/Aus-Pendler:innen? Wie viele Zweitwohnsitze gibt es? Und qualitativ gesehen: Wie hoch ist die Lebensqualität? Welche Investitionen und Aktionen werden seitens der öffentlichen Hand und der Privaten geplant und getätigt, um in
Zukunft die Lebensqualität zu halten oder zu erhöhen?
Was ist nun ländlicher Raum in Österreich?
Geringe Bevölkerungsdichte? Es gibt keine allgemeingültige Einordung in Stadt und Land in Österreich. Je nach Raumtyp,
Bewertungskriterium oder Abgrenzung des Untersuchungsgebietes variiert die Zuschreibung „städtischer“ und „ländlicher“ Raum.
Zum Beispiel die Urban-Rural-Typologie der Statistik Austria
Sie umfasst 4 Hauptklassen: Urbane Zentren (Stadtregionen), Regionale Zentren, Ländlicher Raum im Umland von Zentren (Außenzonen) und Ländlicher Raum und 11 Unterklassen. (s. Grafik hinter QR-Code)
Die Europäische Union arbeitet auf der NUTS-3-Ebene mit der „Urban-Rural-Typology“ und definiert 3 Kategorien: „predominatly urban, intermediate und predominatly rural“. Der „Degree of Urbanisation“ auf der Gemeindeebene kennt 3 Gebietsklassen: Städte, Kleinere Städte & Vororte und Ländliche Gebiete.
Im ÖREK 2030 findet sich eine Darstellung der Raumtypen in Österreich
+ Größere Stadtregionen
+ Kleinere Stadtregionen und ländliche Verdichtungsräume
+ Achsenräume entlang hochrangiger Verkehrsinfrastruktur
+ Ländliche Tourismusregionen
+ Ländliche Räume mit geringer Bevölkerungsdichte und Bevölkerungsrückgang
Es scheint, die Definition vom ländlichen Raum funktioniert nicht für sich allein. Das „Andere“, die Stadt braucht es, um zu verstehen. Blickt man in die Geschichte, ist das nachvollziehbar. „Der Ländliche Raum hat wesentliche Unterscheidungsmerkmale gegenüber dem städtischen Raum eingebüßt, er ist im Kernraum Europas dicht besiedelt und gut erreichbar, er hat den gleichen Zugang zu globalen Kommunikationsmöglichkeiten und die Landwirtschaft als strukturierende Wirtschaftstätigkeit verliert zusehends an Bedeutung.“ (Pretterhofer et. al., 2010, S. 17) Im 19. Jahrhundert wachsen die Städte explosionsartig aufgrund der industriellen Revolution (Landflucht) und auch der ländliche Raum wird immer mehr mit städtischen Produktions- und Lebensformen besetzt. Durch diesen Verlust des Ländlichen wurde das Interesse am Ländlichen stark. Der Begriff „Heimat“ und der Wunsch nach einer „heilen Welt“ wird groß und war fortan höchst ideologisch besetzt (Heimat(schutz)bewegung oder die „Blut und Boden“ Ideologie des Nationalsozialismus oder die Landkommunenbewegung in den 1960/70er Jahren). Überschaubarkeit, Tradition, Bodenständigkeit, Volkskultur (und damit Ablehnung der Hochkultur) waren die Narrative. Die Idylle, die Landschaftsschönheit, das Ideal des Landlebens wurde dann ab den 1950er Jahren in Heimatfilmen und im Aufkommenden des (breiten) Tourismus propagiert. Der Tourismus ist nach wie vor einer der größten Wirtschaftszweige in Österreich. Neben den Freizeitangeboten spielt eine intakte Natur- bzw. Kulturlandschaft eine große Rolle. Versteckt liegen soll die hochindustrialisierte Agrarwirtschaft. Das Ländliche wird dann in unterschiedlichen Ausprägungen künstlich hergestellt.
Ländliche Verheißung
Das Studio Amore geht der ländlichen Verheißung nach und hat mehrere Arbeits- und Lebensprojekte rund um Berlin untersucht. Sehnsucht ist für sie eine Suche nach den Räumen des Möglichen, die insbesondere von Menschen betrieben wird, die einen Wunsch nach Veränderung ihrer Lebens- und Arbeitswelt (oft aus der Stadt oder dem Stadt-Umland hinaus) hegen. Studio Amore gründet ihre Überlegungen auf der These von Hartmut Rosa (2016: „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“). Er sagt, dass die Resonanz das Versprechen der Moderne bleibt, aber Entfremdung die Realität ist. „Nie war die Sehnsucht des Menschen nach Resonanz ausgeprägter und nie zuvor schien die Welt so zum Greifen nahe, wie in der digitalisierten, neoliberalen Gegenwart.“ Zwischen den Polen Resonanz und Entfremdung steht die Frage, was ein gelungenes und gutes Leben sein kann. „Die Stadt als einstiger Verheißungsraum, als Versprechen von Freiheit, Individualismus und Möglichkeitssinn verliert mittlerweile, wenn es um die Frage einer resonanten Weltbeziehung geht, ihre Anziehungskraft. Die Verheißung des Landes hingegen ist es, wieder in Resonanz zu gelangen: mit uns selbst, unserem Körper, der Arbeit als sinnhafter Tätigkeit, mit anderen Menschen und nicht zuletzt mit der Natur.“ (zit. Burke et. al., 2019, S. 10)
Dies versprechen auch aktuelle Magazine, TV-Sendungen, Serien auf Netflix, Computerspiele, Instagram, usw. Die feiern das Ländliche und es scheint das Leben dort einfacher, erfüllter und echter zu sein. Das Land ist der Sehnsuchtsort (vgl. Stumfol, 2021). In der Stadt wird gearbeitet und am Land wird sich erholt, ist eines der Narrative. Ein anderes Bild, das gezeichnet wird, ist mit der Covid-19-Pandemie verstärkt worden. Der ländliche Raum ist nun auch Möglichkeitsraum für das qualitätsvolle Verknüpfen von Arbeiten und Wohnen. Urlaub im Co-Working-Space („Co-Workation“) wird angepriesen. Selbstverwirklichung im preislich günstigen Leerstand wird möglich. Die Gemeinschaft der Landlustigen, Ausschwärmer:innen, Multilokalen, Aussteiger:innen, Nomad:innen, Rückkehrer:innen wird größer. Wichtig zu verstehen ist bei der Interpretation, dass oben Genanntes vor allem aus einer städtischen Sicht formuliert wird. Die statistischen Zahlen sind noch zu gering, um von einem „neuen“ Trend der Stadtflucht sprechen zu können. Hier muss noch abgewartet werden. Viele Medien greifen hier voraus.
Der Versuch einer Auflösung
„I’ll begin with the following hypothesis: society has been completely urbanized.“ – Henri Lefebvre, La révolution urbaine (1970)
Die unscharfe Karte der Raumtypen im ÖREK 2030 (vgl. ÖROK, 2021) und die vielen Raumkategorien der Statistik Austria zeugen von der Schwierigkeit, Stadt und Land zu differenzieren. Ist das überhaupt noch zeitgemäß? Braucht es neue Begriffe?
Bereits in den 1960er Jahren postuliert Henry Lefebvre, dass es Stadt und Land nicht mehr gäbe. Die ganze Welt sei urbanisiert. Er bezeichnete dies als „Urbane Revolution“, bei der sich das Stadtgewebe wie ein Spinnennetz über das Land ausbreite. Ähnlich formuliert es Neil Brenner mit seiner „Urban Theory without an Outside“ – der „Planetary Urbanization“. Cedric Prize (1934-2003) zeichnete ein kulinarisches Bild der sich ausbreitenden Eierspeis – einer Verstädterung durch ständige Suburbanisierung. Thomas Sieverts prägte ab Ende der 90er Jahre den Begriff der „Zwischenstadt“. Als Konsequenz der Auflösung des Stadt-Land-Gegensatzes führt Corboz (2001) den Begriff des „Territoriums“ ein. Dabei geht es nicht um die Verstädterung des Landes bzw. die Auswirkung von Urbanisierungsprozessen, sondern er beschreibt ein komplexes Wechselspiel aus natürlichen Bedingungen und menschlicher Inbesitznahme.
Aus dieser Mischung aus „rural“ und „urban“ hat sich ein neuer Begriff geformt: „Rurbanismus“ bzw. „rurban“. Für diesen rurabanen Raum gibt es wiederum keine Definition, bei der sich alle einig sind.
Der Begriff tauchte erstmals in den 1940er Jahren bei der amerikanischen Geographin Helen Balk auf. „Rurbanization“ stand für einen Austausch- und Aushandlungsprozess zwischen Stadt und Land. In den 1970er Jahren verwendeten die französischen Geographen Bauer und Roux den Begriff zur Beschreibung von Raumstrukturen, die aus den Verknüpfungen städtischer und ländlicher Raumnutzungen hervorgingen (vgl. Pretterhofer, 2010). Sigrun Langner (2014) sieht im Rurbanismus einen räumlich-gestalterischen und planerischen Ansatz, bei dem produktive Raumbeziehungen zwischen Stadt und Land und deren Gestaltungspotential in den Blick genommen werden.
Die IBA Thüringen mit dem Titel „StadtLand“ überlagert Urbanismus und Ruralismus zu einem neuen „Rurbanismus“, bei dem Abhängigkeiten, Angleichungen oder Unterschiede zwischen Stadt und Land zum „neuen gesellschaftlichen Stoffwechsel“ werden.
Heidi Pretterhofer, Dieter Spath und Kai Völker bezeichnen den Raum, der weder in der Stadt noch am Land noch dazwischen angesiedelt ist, als „rurbanen“ Raum. Er sei ein eigenständiger und eigenwilliger neuer Raumtypus. In der Publikation und Ausstellung „Land. Rurbanismus oder Leben im postruralen Raum“ (Haus der Architektur Graz, 2010) unterziehen sie diesen ruralen Raum einer transdiziplinären Lesung (insb. an Schnittstelle von Architektur, Urbanismus, Kulturproduktion und Theorie). Zit., S. 16:
„Urban ist … eine Messerstecherei im Hinterzimmer eines Gürtelcafés wegen einer falschen Rolex. Rural ist … eine Wirtshausrauferei wegen einer umgeschütteten Flasche Edelweißbier. Rurban ist … ein Red-Bull-Vodka-Rausch in der Großraumdisco auf der Autobahnauffahrt.“
Handeln für die Zukunft?
Aus den vorangegangenen Annäherungsversuchen zum ländlichen Raum lässt sich ableiten, dass wir uns in einem breiten Spannungsfeld bewegen. Der ländliche Raum wurde in der Vergangenheit stark aus der städtischen Perspektive betrachtet, erforscht und beplant. Eine wichtige Perspektive kann dadurch verloren gehen: „Der ländliche Raum hat in den letzten Jahrzehnten eine eigenständige Entwicklung vollziehen können, die sich auf eine neuartige Weise mit dem Städtischen verknüpft und Merkmale einer künftigen Siedlungsweise in Europa aufweist.“ (zit. Pretterhofer, 2010, S. 17) Damit hat der ländliche Raum seine eigenen Themen, Probleme und Potentiale, die regional und lokal stark variieren können. Dies ist eine Herausforderung für die Wissenschaft und Praxis. Hier braucht es aktuelle Grundlagenforschung und adaptierte Methoden. Eine engere Zusammenarbeit kann hier erfolgsbringend sein, ebenso wie ein transdisziplinärer Zugang.
Anstatt Stadt und Land gegeneinander auszuspielen, das eine durch das andere definieren, ist es wichtig, die Beziehung zu stärken. Verbindungen bestehen sowieso, aber es geht um Beziehungsarbeit, um eine gleichberechtigte Partnerschaft. Hierfür gibt es Planungsansätze, Praktiken und Prozesse, die auf Umsetzung warten.
Es ist gut, dass der ländliche Raum wieder verstärkt Aufmerksamkeit bekommt. Sei es durch die Medien, durch neue Narrative, durch Projekte und durch Förderungen. Vorsicht ist aber geboten, nicht einseitig zu werden und nun auf die Stadt zu vergessen. Auf eine gelungene Beziehung und Zusammenarbeit kommt es an!
Dementsprechend gilt es, die These, dass Innovation, Modernität und Zukunft heute am Land entstehen würden, richtig einzuordnen. Rem Koolhaas postulierte bei der Ankündigung der Ausstellung „Countryside, The Future“, die 2020 bis 2021 im Guggenheim Museum in New York stattfand: „The countryside is now the site where the most radical, modern components of our civilization are taking place.”
Wie sollen wir nun mit Zuschreibungen, Vorurteilen und falschen Narrativen umgehen? Wie können diese gebrochen werden, um der Realität näherzukommen? Dies ist eine schwierige Aufgabe, die auch Zeit braucht. Beginnen wir damit, genau hinzuschauen, unsere Ansätze immer wieder zu überprüfen und den Diskurs nicht zu scheuen. Die Wissenschaft und die Universitäten haben hier eine wichtige Rolle. Eine intensive Teilnahme an der öffentlichen Debatte ist gefragt: eine ureigene Rolle einer Universität.
Ein planerischer Zugang kann z.B. der Fokus auf Lebensqualität sein. Die Suche nach einem guten und gelingenden Leben ist eine der wichtigsten Treiberinnen für Menschen im Zusammenhang mit ihrer Standortwahl. Wenn Gemeinden und Regionen ihren Schwerpunkt auf das Halten und Steigern der Lebensqualität legen, ist eine gute Basis geschaffen für zukünftige Entwicklungen.
Einer der Grundsätze des Österreichischen Entwicklungskonzepts 2030 (ÖREK 2030) nennt sich: „Gerechte Raumentwicklung“ mit dem räumlichen Ziel: „Die Lebensqualität und gleichwertigen Lebensbedingungen für alle Menschen in allen Regionen bedarfsorientiert zu entwickeln.“ (vgl. ÖROK, 2021)
Hier geht es um die grundlegenden Aufgaben einer Gemeinde und Region: Infrastruktur, Teilhabe, Raumordnung (Flächeninanspruchnahme) und der nachhaltige Einsatz von öffentlichen Geldern. Ein Beispiel: Die Gemeinden sind nach wie vor der größte Bauherr Österreichs und damit sollten sie auch Vorbilder in Sachen Baukultur sein.
Dafür braucht es ein Zusammenspiel und gute Kommunikation zwischen Politik, Verwaltung, Bevölkerung (mit oder ohne Hauptwohnsitzmeldung), Expert:innen und Planer:innen.
„Ein lebendiges Dorf entsteht nicht von selbst. Dahinter stecken Pläne für die Regionalentwicklung, Überlegungen zu baukulturellen Maßnahmen oder die Umsetzung von Revitalisierungsprojekten. Der kleinste gemeinsame Nenner all dieser Vorhaben ist aber immer gleich und zudem der Wichtigste: die engagierten Dorfbewohner:innen. Eine Gemeinde kann in diesem Sinne nur so lebendig sein wie ihre Bewohner:innen.“ (ehm. Bürgermeisterin und Landtagsabgeordnete Uli Böker im Interview, Dorfleben Report, 2021)
Center Ländlicher Raum an der Fakultät für Architektur und Raumplanung
Im April 2021 wurde das Center Ländlicher Raum am future.lab an der Fakultät für Architektur und Raumplanung gegründet. Es dient der fakultätsinternen Koordination aller Themen des Ländlichen Raums in Forschung und Lehre. Darüber hinaus ist ein TU Wien-weites Netzwerk im Aufbau, das sich durch Kooperationen mit anderen Hochschulen im In- und Ausland erweitert. Damit erfolgsbringende Forschungs-, Praxisprojekte und Lehrveranstaltungen entstehen, gilt ein weiterer Fokus der externen Kommunikation und den gegenseitigen Verbindungen mit Gemeinden, Klein-, Mittelstädten, Regionen, Bundesländern, Ministerien und Institutionen, Organisationen, Vereinen, Medien, Forschungs-, Praxiskreisen und engagierten Personen auf allen Ebenen.
Unterschiedliche Formate wurden dafür entwickelt und es sind bereits Lehrveranstaltungen und Projekte in der Umsetzung und Anbahnung. Dem Center zur Seite steht ein Beirat aus acht Forschungsbereichen der Fakultät.
Lehre und Forschung an der Fakultät spannen aktuelle Themen zum ländlichen Raum auf: neue (lokale + regionale) Planungs- und Beteiligungsprozesse, Baukultur, Dörfer und Klein/Mittelstädte als Innovationsräume, Strategien und Maßnahmen gegen die Klimakrise, Chancen und Risiken der Digitalisierung, Bodenmanagement, Aktivierung von Leerständen, lebendige Ortskerne, neue Wohnmodelle (Alternativen zum Einfamilienhaus, Sanierungen), Denkmalschutz, Multilokalität und Zweitwohnsitzproblematik, Genderperspektiven, nachhaltiger Tourismus, Energieraumplanung, Gerechtigkeit, Migration und Mobilität… Wir freuen uns auf Erweiterung, Vertiefung und zusätzliche Kooperationen!
Über diese Magazin-ausgabe
Das Future Lab Magazin #16 ist den vielen Projekten, Lehrveranstaltungen, Initiativen und vor allem Menschen gewidmet, die sich intensiv mit der Zukunft des ländlichen Raumes beschäftigen und handeln: für eine hohe Lebensqualität im ländlichen Raum! Wie unterschiedlich die Herangehensweisen bezogen auf Thema, Dimension und Ebene sein können, wird hier versucht auf den folgenden Seiten darzustellen. Da geht es um die Zukunftspläne einer Textilfabrik im Waldviertel (S. 7), um die Zusammenarbeit vom Land Kärnten mit Gemeinden in Sachen Baukultur (S. 9) und um die transdisziplinäre Summer School „Zukunftsland Lungau“, die durch die Zusammenarbeit von 5 Hochschulen entstand und umgesetzt wurde. Seite 14 handelt von einer Konferenz und dem Bestreben die Zukunft Europas nachhaltig zu gestalten: „Building Europe. Towards a Culture of High Quality Architecture and Built Environment“. Die Bodenschutzstrategie auf Bundesebene wird auf Seite 15 vorgestellt. Helena Linzer blickt kurz vor ihrem Ruhestand auf ihre universitäre Arbeit zum und im ländlichen Raum zurück (S. 16). Und im Mittelteil wird die Frage gestellt: „Wie sehen Sie die Zukunft des ländlichen Raums?“. Das Magazin startet (S.6) mit einer Vision, die 2022 Realität wurde: die landuni Drosendorf.
Aus der future.lab-Magazin-Augabe #16 Zukunft Ländlicher Raum, 2022
Ein Beitrag von Isabel Stumfol, Center Ländlicher Raum an der Fakultät für Architektur und Raumplanung
Mit 1. April 2021 hat Isabel Stumfol die Koordination des Centers Ländlicher Raum übernommen. Die Raumplanerin ist im steirischen Ennstal aufgewachsen, ist auch selbstständig tätig, Vorstandsmitglied im Verein LandLuft und im Verein Korona Mai. Sie forscht und lehrt nicht nur zum Ländlichen Raum, sondern Stadt und Land sind für sie als multilokal Lebende und Arbeitende direkt erfahrbar.
ADEG (2021): Dorfleben-Report 2021.
M. Burke, E. Harmel, L. Jank, S. Kerkhoff; Studio Amore (2019): Ländliche Verheissung. Arbeits- und Lebensprojekte rund um Berlin. Ruby Press. Berlin.
BMLRT (2021): Zahlen und Fakten 2021. Wien.
IBA Thüringen
Morgen. Magazin (2021): „Stadt – Land“.
Ausgabe 4/2021. Amt der NÖ Landesregierung (Hg.)
ÖROK (2021): ÖROK-Atlas. www.oerok-atlas.at
ÖROK (2021): Österreichisches Raumentwicklungskonzept 2030. Raum für Wandel.
H. Pretterhofer, D. Spath, K. Vöckler (2010): Land. Rurbanismus oder Leben im postruralen Raum. Haus der Architekur. Graz.
Statistik Austria (2022)
I. Stumfol (2021): Eskapaden aufs Land. Die digitalen Stadtfluchten einer Raumplanerin. S. 81ff. in S. Pollak (Hg.) (2021): Wie leben? Die Stadt in Zeiten der Möglichkeiten. Sonderzahl.
G. Weber, T. Fischer (2010): Gehen oder Bleiben? Die Motive des Wanderungs- und Bleibeverhaltens junger Frauen im ländlichen Raum der Steiermark