Neues Video zum Symposium 2023

Die Transformation zu klimaneutralen Städten ist eine drängende Aufgabe, die bestehende Strukturen wie auch soziale Praktiken herausfordert. Es gilt die Lebensqualität heutiger als auch künftiger Generationen zu sichern, gesellschaftliche Ungleichheiten zu bekämpfen und gerechte Entwicklungschancen für Alle zu ermöglichen. Über einzelne Aufgaben der Sanierung oder des Umbaus hinaus gilt es Prozesse zu etablieren und Kompetenzen aufzubauen, die diese grundlegenden Veränderungen bewältigen können. Das Symposium des future.lab war am 09. November 2023 in St. Pölten zu Gast – eine österreichische Pionierstadt, die den Weg zur Klimaneutralität schneller gehen und für andere ebnen will. Daher lenken wir den Blick auch auf Lernprozesse in und zwischen Städten.

Über den Tag verteilt nahmen rund 50 Personen am Symposium teil. Die Teilnehmenden stammen überwiegend aus den Bereichen Stadtentwicklung, Verkehrsplanung, Architektur, Landschaftsplanung, Klimakoordination sowie Partizipation & Prozessbegleitung. Dabei waren Vertreter*innen aus Stadtverwaltungen aus Graz, Kufstein, Linz und Bludenz, Forschungsinstitutionen und Universitäten, Planungsbüros, (halb)öffentliche Unternehmen sowie intermediäre Akteure vertreten. Die eingangs abgefragten Interessensgebiete der Teilnehmenden lagen u. a. auf nachhaltiger Mobilität, Klimawandelanpassung im öffentlichen Raum, Quartiersentwicklung, Bewusstseinsbildung und Beteiligung, Experimenten und lernender Planung. Mit diesem Bündel aus Fachexpertisen, Praxiserfahrungen und vielen offenen Fragen starteten wir in den Tag.


Field Trips


Öffentlicher Raum in Transformation: Promenadenring & Josefstraße

Die Exkursion wurde von Carina Wenda (Klimakoordination Stadt St. Pölten), Manuel Hammel (Verkehrsplanung Stadt St. Pölten) und Clara Linsmeier (Raumposition) begleitet, die Einblicke in unterschiedliche Umgestaltungsprozesse des öffentlichen Raums in St. Pölten gaben. Dabei zeigten sie erste bauliche Ergebnisse und berichteten über hinderliche und förderliche Rahmenbedingungen, auftretende Herausforderungen, die Aushandlungsprozesse und noch ungelöste Fragestellungen.

Als wichtigste Grundlagen für die die Umgestaltung des öffentlichen Raums werden u. a. das Generalverkehrskonzept (2014), die Leitkonzeption öffentlicher Raum (2019) und der derzeit erarbeitete Masterplan aktive Mobilität genannt. Darin werden Ziele zur Verringerung des Kfz-Verkehrs, zur Förderung des Radverkehrs und Schaffung attraktiver Fußwege festgelegt, die im Rahmen mehrerer Projekte umgesetzt werden sollen. Zwei davon wurden im Rahmen der Exkursion besichtigt.


An der Umgestaltung des Promenadenrings wird seit mehr als zwei Jahren gearbeitet. Die zentrale Mobilitätsachse soll zu einer verkehrsberuhigten Begegnungszone werden und viel Platz für aktive Mobilität und Aufenthalt bieten. Nach einem Beteiligungsprozess, dem Planungswettbewerb und der konkretisierenden Planungsphase wurde im Februar 2023 mit dem ersten Bauabschnitt zwischen Linzer Tor und Lederergasse gestartet, der in Teilen bereits abgeschlossen ist. Auch umliegende Straßenräume werden umgestaltet, wie z. B. die bereits fertiggestellte Schulgasse. Für die Projektbeteiligten ist die laufende Kommunikation mit der betroffenen Bevölkerung eine der größten – durchaus herausfordernden –  Bedingungen für einen gelingenden Umgestaltungsprozess.

Neben dem Promenadenring soll auch die Josefstraße – als eine der im Generalverkehrskonzept festgelegten Umweltverbundachsen – umgestaltet werden. Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts Transformator:in wird unter Leitung von Raumposition (Daniela Allmeier und Clara Linsmeier) und in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und u. a. der TU Wien ein Prozess entwickelt, um die Josefstraße in ihrer Qualität als Aufenthalts-, Erlebnis- und Gestaltungsraum zu stärken.

Transformative Quartiersentwicklung: Eisenbahnerhöfe

Die Arbeitersiedlung Eisenbahnerhöfe (historisch Mariazellerhöfe) der ÖBB Infrastruktur AG soll in den nächsten Jahren modernisiert und zugleich zum Vorbild für eine nachhaltige Quartiersentwicklung werden. Das Vorhaben wird als F-&E-Projekt ZuZugLeben im Rahmen der Smart Cities Initiative des Klima- und Energiefonds unterstützt und von einem interdisziplinären Konsortium begleitet. Die Projektleiterin Vera Casper und der Leiter des österreichweiten Wohnprogramms Gerald Mitterbäck (ÖBB Infrastruktur AG) gaben gemeinsam mit dem Projektpartner Gerhard Hofer (e7) im Rahmen der Exkursion einen aktuellen Einblick.

Ziel des Projekts ist es ein integrales Gesamtkonzept für die Modernisierung von Arbeitersiedlungen zu entwickeln. Die Schaffung von qualitätsvollen Wohn- und Lebensräumen für ÖBB-Mitarbeiter*innen, die u. a. auch den Ansprüchen von Schichtarbeitenden nachkommen, spielt dabei eine wesentliche Rolle. Im Modernisierungsprozess sollen nicht nur die Gebäude thermisch saniert und die Wohnungsgrundrisse adaptiert werden, sondern auch die großzügigen Grünräume in den Höfen qualifiziert und die Straßenräume zwischen den Höfen umgestaltet werden. Als Ausgangspunkt und Basis der Exkursion diente das sogenannte „Pumpenhaus“ im ersten der drei Höfe, das bereits für kleine Veranstaltungen und Workshops genutzt wird und in Zukunft als Quartierszentrum fungieren soll.


Vera Casper machte auf die herausfordernden baurechtlichen Standards aufmerksam, die sich in der Gebäudesanierung ergeben. Aufgrund der unterschiedlichen Denkmal-Schutzzonen der drei Höfe bestehen unterschiedlich starke Eingriffsmöglichkeiten in den Bestand. Während der mittlere Hof den höchsten Schutz (Klasse II) aufweist, und daher eingeschränkte Sanierungsmöglichkeiten aufweist, gelten in den äußeren Höfen keine bzw. geringere Auflagen, wodurch diese rascher und einfacher modernisiert werden können.

Zudem gelten für die Sanierung historischer Gebäude zum Teil die gleichen Standards wie im Neubau. Während der Besichtigung einer frisch sanierten Wohnung wurden damit zusammenhängende Herausforderungen deutlich: durch den Einbau neuer – den baurechtlichen Auflagen entsprechend – dichten Fenster ergeben sich nicht nur Vorteile bzgl. Dämmung, sondern oftmals auch Probleme in Bezug auf zu hohe Luftfeuchtigkeit und Schimmelbildung. Darauf wird nicht nur mit technischen Lösungen (etwa den nachträglichen Einbau von „Lüftungsschlitzen“ und Luftfeuchtigkeitsmessern) reagiert, sondern auch mit bewusstseinsbildenden Maßnahmen wie Informations-Broschüren und persönlichen Beratungen der Bewohner*innen zum Thema Heizen und Lüften.

Workshops


Für die vertiefenden Gruppendiskussionen wurden vier Thementische gebildet: Diese ergeben sich einerseits aus den Handlungsfeldern „öffentlicher Raum“ und „Quartiersentwicklung“ – anknüpfend an die Field Trips – sowie den beiden Themenclustern „Allianzen & Akteure“ und „Prozesse & Methoden“. In drei Runden zu je 20 Minuten diskutierten die Teilnehmenden in Kleingruppen an den Thementischen, die von je einer Moderator*in des future.lab begleitet wurden. Im Folgenden werden die exemplarische Ergebnisse – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – wiedergegeben:


Bestandsquartiere | Prozesse & Methoden

Die Sanierung bestehender Quartiere beschäftigt momentan viele Städte – die Modernisierung von Arbeitersiedlungen wie jener in St. Pölten ist nur ein Beispiel. Die Projektbeteiligten stehen dabei neben den inhaltlichen Fragen vor vielen Herausforderungen der Kommunikation und Zusammenarbeit. Neben der internen Abstimmung in den oft großen Konsortien, die die vielen nötigen Disziplinen und Expertisen (wie Immobilienökonomie, Architektur, Landschaftsarchitektur, Mobilität, Städtebau, Recht, Energie, Partizipation) zusammenbringen, ist ein intensiver Kontakt sowohl zu den Bewohner*innen als auch den Stadtverwaltungen nötig. Zudem sind die Projekte etwa über Fördergelder in übergeordnete Programme eingebunden, welche Berichtspflichten aber auch Gelegenheiten zum Austausch und zur Reflexion der Ergebnisse beinhalten – was Zeit benötigt und dieVerantwortlichen sehr umfangreicher Projekte zusätzlich fordert.

Über die Projektarbeit hinaus wurde daher diskutiert, wie die Lernprozesse der Pionierprojekte auch weitergegeben werden können – innerhalb der Institutionen, an nächste Projekte, an andere Akteure, an andere Städte. Klar wurde: dies ist wichtig, passiert aber nicht von selbst und braucht Ressourcen sowie Aufmerksamkeit.


Bestandsquartiere | Akteure & Allianzen

Wie oben formuliert arbeiten viele Akteure gemeinsam an der Sanierung von Bestandsquartieren – gleichzeitig werden sie auch von Bewohner*innen und Betrieben genutzt. Die Gestaltung der kommunikativen Schnittstellen im Umbau sowie im erneuerten Zustand erhält daher viel Aufmerksamkeit in den Projekten. Zudem erfordern viele programmatische und funktionale Weiterentwicklungen (z. B. gemeinsame Nutzung von Frei- und Innenräumen oder Mobilitätsangeboten) eine aktive Einbindung der Bewohner*innen sowie der Projektentwickler*innen und Hausverwaltungen. Auf letztere kommen viele neue Rollen zu, wobei sie in die Entwicklungsprozesse aber meist nicht eingebunden sind und die bestehenden Organisationsstrukturen (noch) nicht für die „neuen“ Themen gemacht sind.

Aufgrund der hohen Relevanz von Energie- und Mobilitätsinfrastrukturen sowie Freiräumen für die Entwicklung, nimmt auch die öffentliche Hand eine wichtige Rolle ein. Die Prozesse der Quartierstransformation erfordern eine starke Integration unterschiedlicher Maßnahmen und Handlungsbereiche – etwa hinsichtlich der abgestimmten Gestaltung öffentlicher und privater Freiräume. Zunehmend werden dafür benötigte Kapazitäten auch entlang experimenteller Entwicklungen aufgebaut und die transformative Wissenschaft als Akteur eingebunden. Über die Verteilung der Aufgaben und Lasten wird nicht zuletzt viel über den „urbanen Profit“ gesprochen – wer hat was von der transformativen Erneuerung?

Öffentlicher Raum | Prozesse & Methoden

Was bedeutet „Transformation“, warum ist sie notwendig, und was kann und muss sie leisten? Ausgehend von dieser Fragestellung identifizierten die Diskussionsteilnehmenden neue Anforderung an die Gestaltung von Prozessen in Bezug auf die Stadtentwicklung und insbesondere die Umgestaltung des öffentlichen Raums. Die Menschen müssen dabei verstärkt in den Mittelpunkt gerückt werden. In Beteiligungsprozessen sollte allerdings nicht (nur) danach gefragt werden, was sich die Betroffenen wünschen, sondern was sie machen wollen und können. So lässt sich die Produktion von – oftmals unerfüllbaren – Wünschen vermeiden und die Selbstermächtigung und Handlungsfähigkeit einzelner Akteure stärken.

In Bezug auf die Frage, wie Veränderungsprozesse angestoßen werden und gelingen können, wurde über Rollen und Zuständigkeiten in Transformationsprozessen diskutiert: Brauchen wir einen neuen Haussmann („der“ Stadtplaner von Paris im 19. Jhd.) als „skrupellosen Transformator“, um Veränderungen anzustoßen? Oder brauchen wir stattdessen viele neue bottom-up-Transformator*innen? Schließlich entstand die Idee einer neuen Verwaltungseinheit der „Möglich-Macher*innen“, die den kulturellen Wandel anstoßen, u. a. indem entstehende bottom-up Initiativen aufgegriffen und weitergetragen werden.


Öffentlicher Raum | Akteure & Allianzen

Welche Potenziale und Herausforderungen bringt die Bürger*innenbeteiligung in Transformationsprozessen des öffentlichen Raums? Die Projektbeteiligten des Promenadenrings reflektierten, dass es vielfältige Online- und Offline-Formate braucht, um unterschiedliche Akteursgruppen zu erreichen. Ein wichtiges Learning war zudem, dass es im Rahmen langwieriger Umgestaltungsprozesse zu keinen Brüchen oder längeren Unterbrechungen in der Kommunikation mit der Bevölkerung kommen darf: Während der konkretisierenden Planungsphase des Promenadenrings wurde mit den Ergebnissen der Bürger*innen-Beteiligung weitergearbeitet, dies allerdings (zunächst) nicht nach außen kommuniziert. Somit hatten Bewohner*innen das Gefühl, ihre Anregungen wären „in der Schublade“ verschwunden.

Eine weitere Fragestellung der Gruppendiskussion bestand darin, wer Verantwortung gegenüber der (Um-)Gestaltung und Pflege des öffentlichen Raums übernimmt. Vor allem im Kontext der Klimakrise braucht es neue Partnerschaften zwischen Stadtverwaltung und -politik, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft, um die damit einhergehenden Lasten (besser) zu verteilen; ein Denkanstoß wurde mit dem Modell der Climate-Civic-Public-Partnerships eingebracht. Diskutiert wurde außerdem, Inwiefern sich Eigentümer*innen bzw. Nutzer*innen von bspw. Gewerbelokalen in Erdgeschosszonen in die (Um-)Gestaltung und Pflege des angrenzenden öffentlichen Straßenraums einbringen könnten bzw. sollten – zumal sie von einer verbesserten Aufenthaltsqualität profitieren. Partnerschaften zwischen öffentlicher Hand und Zivilgesellschaft (Civic-Public-Partnerships) könnten v. a. in der Grünraumpflege gestärkt und bestehende Modelle wie Gießpartnerschaften oder die Pflege von Baumscheiben weiterentwickelt werden. Insbesondere im dicht besiedelten urbanen Raum braucht es zudem Aneigungsräume für die Zivilgesellschaft.

Keynotes & Diskussion
 


„Gute Nachricht: die Welt ist schon gebaut“ – mit diesem Statement startete Ben Pohl (Denkstatt Basel) die erste Keynote und teilte seine Erfahrungen mit Transformationsprozessen in Schweizer Städten. In der zweiten Keynote von Anamarija Batista (Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften, Akademie der bildenden Künste Wien) stand die Frage im Zentrum, wie sich potenziell obsolet werdende Gebäude und Territorien für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung nutzen lassen – aufbauend auf dem interdisziplinären Forschungsprojekt Obsolete Stadt.

Auf die beiden Impulsvorträge folgte eine von Rudolf Scheuvens moderierte Fish-Bowl-Diskussion. Sechs geladene Diskutant*innen machten den Auftakt: Carina Wenda, Leiterin des Klimakoordinationsteams der Stadt St. Pölten; Ernst Rainer, Leiter des Büros für resiliente Stadt- und Raumentwicklung; Maximilian Jäger, Experte für Mobilitätsstrategien und -innovationen für klimaneutrale Städte bei AustriaTech; Susanne Formanek, Mitbegründerin des Innovationslabors für klimaneutrale Gebäudesanierung RENOWAVE; Gudrun Haindlmaier, Senior Scientist am Center for Innovation Systems & Policy am Austrian Institute for Technology (AIT); Vera Casper, Projektleiterin ÖBB Infrastruktur AG. 


Die eingangs formulierten Eingangsthesen wurden in einer lebendigen Diskussion mit den Teilnehmenden bestärkt, verworfen, hinterfragt oder erneuert. Auf dem Miro Board wurden die Thesen, an den weiter diskutiert werden kann und soll, festgehalten.