Offenes Werkstattgespräch „Ressourcenschonend leben“

am 20. Juni 2023  

Um die Bestandsstadt mit den Klima- und Nachhaltigkeitszielen in Einklang zu bringen, braucht es neben baulich-technischen Maßnahmen wie Gebäudesanierungen oder Straßenumgestaltungen auch eine Stärkung ressourcenschonender Praktiken: Sharing-Modelle, Repair-Initiativen, Zwischen- und Mehrfachnutzungen, alternative Arbeits- und Wohnformen und mehr. Somit rückt Suffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie in den Fokus. In Ergänzung zu Effizienz- und Konsistenzstrategien, die auf „bessere“ bzw. „andere“ Lösungen setzen, fragt Suffizienz nach dem „genug“ und zielt auf eine verminderte Nachfrage an Ressourcen innerhalb planetarer Grenzen ab. Suffizienz setzt also bei den Bedürfnissen der Menschen an. Es sind allerdings nicht nur Verhaltens- und Haltungsänderungen auf individueller Ebene nötig, sondern vor allem entsprechende strukturelle Rahmenbedingungen, die ressourcenschonende Produktions- und Konsumweisen stärken. Nicht zuletzt ist es eine politische und planerische Aufgabe, gute Voraussetzungen für genügsame Lebensstile zu schaffen. In der Stadtentwicklung wird unter anderem intermediären Akteuren und bewusstseinsbildenden Maßnahmen – wie etwa der Arbeit der Gebietsbetreuung Stadterneuerung in Wien – eine wichtige Rolle zugeschrieben, um Suffizienz zu fördern. 


Im Offenen Werkstattgespräch der Innovationswerkstatt stand die Frage im Fokus, inwiefern nachhaltige und genügsame – also suffiziente – Lebensweisen ermöglicht und gestärkt werden können. Wie können sie zu mehr Lebensqualität führen und mehr Menschen mitnehmen? Und welche Beiträge können Instrumente und Akteure der Stadterneuerung in Wien leisten? 

Der räumliche Fokus wurde auf das aktuelle Gebiet des Stadterneuerungsprogramms WieNeu+ gelegt, das „Grätzl2+20“. Die Veranstaltung fand vor Ort im GB*Stadtteilbüro im 2. Bezirk statt. Nach einem Impuls der Innovationswerkstatt folgten drei Gastbeiträge über Forschungs- und Praxis-Aktivitäten im Kontext der Stadterneuerung in Wien: Ausgehend von dem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt POWAST*WIEN berichtete Alexander Barnsteiner vom Institut für Stadt- und Regionalforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über die Rolle der GB* in der suffizienten Stadtentwicklung. Helene Scheller von der Abteilung für Technische Stadterneuerung der Stadt Wien (MA25) gab Einblick in das laufende Forschungs- und Entwicklungsprojekt Stadtkern_PLUS, das im zweiten und 20. Bezirk Ressourcengemeinschaften für einen nutzungsgemischten Stadtteil pilotiert. Und schließlich stellte Nina Chladek-Dankelmaier vom GB* Stadtteilmanagement Nordbahnhof/Nordwestbahnhof erste Ergebnisse aus dem partizipativen Budget „Grätzlmarie“ vor. 


In der anschließenden Diskussion mit allen Inputgeber*innen und Teilnehmenden fokussierten wir vier zentrale Fragestellungen, die eng miteinander verknüpft sind:

  1. Um suffiziente Lebensweisen zu fördern, braucht es attraktive Narrative und Leitbilder, die ressourcenschonende Praktiken für Individuen sowie Gruppen (wie etwa die Nutzung von Sharing-Angeboten) nicht nur denkbar, sondern auch erstrebenswert machen. Mit welchen Instrumenten können individuelle Haltungen, Einstellungen, Wertvorstellungen thematisiert und gar beeinflusst werden? Wie kann von pionierhaften Praktiken gelernt werden, um deren Sichtbarkeit und Relevanz zu erhöhen?
     
  2. Urbane Infrastrukturen ermöglichen und erleichtern Praktiken gelebter Suffizienz, wie etwa ein gut ausgebautes Fuß- und Radwegenetz oder wohnortnahe Sharing- oder Reparatur-Angebote. Inwiefern können Gebäudestrukturen, die Gestaltung des öffentlichen Raums, Verkehrsinfrastrukturen, sowie auch Nutzungsangebote im Stadtteil suffizientes Verhalten ermöglichen? Was muss bei deren Gestaltung beachtet werden?
     
  3. Institutionelle Regelungen haben einen wesentlichen Einfluss auf die Ermöglichung und gesellschaftliche Legitimation von suffizienten Lebensweisen. Welche sinnvollen (finanziellen) Anreize sowie Beschränkungen gibt es bereits, und welche braucht es? Welche Regelungen und Verordnungen, sowie Ge- und Verbote sind nötig, um suffizientes Verhalten zu fördern?
     
  4. Auf all diesen Ebenen – vom einzelnen Individuum bis hin zu Institutionen – sind Akteure und deren Rollen ausschlaggebend für die Ermöglichung und Stärkung suffizienter Lebensweisen. Wer sind zentrale Akteure, die bestehende Rahmenbedingungen und Strukturen verändern können? Welche Akteure und Netzwerke müssen verstärkt einbezogen und aktiviert werden? Inwiefern müssen sich Zuständigkeiten verändern und welche (neuen) Kompetenzen braucht es? 

In der Diskussion sind im Austausch aller Teilnehmenden aus Wissenschaft, Planungspraxis und Stadtverwaltung viele spannende und anregende Impulse sowie weitere Fragestellungen entstanden. Nach deren systematischen und wissenschaftlichen Aufarbeitung werden die Ergebnisse aus dem Offenen Werkstattgespräch in unserer open access Schriftenreihe verfügbar gemacht. Außerdem werden sie in weitere Aktivitäten der Innvotionswerkstatt einfließen und die Arbeit des future.lab inspirieren.